April 29, 2008

Verfahren an der EuGH.

Das Verfahren umfasst in allen Rechtssachen eine schriftliche und im Allgemeinen auch eine mündliche Phase mit öffentlicher Verhandlung. Zu unterscheiden ist jedoch zwischen dem Verfahren in Vorabentscheidungssachen und dem in Klagesachen.

Anrufung des Gerichtshofes und schriftliches Verfahren

  • Vorabentscheidungssachen

Ein nationales Gericht legt dem Gerichtshof – in der Regel in Form einer richterlichen Entscheidung gemäß dem innerstaatlichen Verfahrensrecht – Fragen nach der Auslegung oder der Gültigkeit einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts vor. Das Vorabentscheidungsersuchen wird zunächst vom Übersetzungsdienst des Gerichtshofes in alle anderen Amtssprachen der Gemeinschaft übersetzt und anschließend vom Kanzler den Parteien des Ausgangsverfahrens sowie den Mitgliedstaaten und den Organen zugestellt. Der Kanzler lässt eine Mitteilung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichen, in der u. a. die Parteien des Ausgangsverfahrens und der Inhalt der Fragen angegeben werden. Die Parteien, die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsorgane können binnen zwei Monaten schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof einreichen.

  • Klagesachen

Die Anrufung des Gerichtshofes erfolgt durch eine an seine Kanzlei zu richtende Klageschrift. Der Kanzler lässt eine Mitteilung über die Klage einschließlich der Klageanträge und -gründe im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichen. Zugleich wird die Klageschrift dem Beklagten zugestellt, der binnen eines Monats eine Klagebeantwortung einzureichen hat. Es können dann noch eine Erwiderung des Klägers und eine Gegenerwiderung des Beklagten folgen, die jeweils binnen eines Monats einzureichen sind. Diese Fristen sind einzuhalten, falls sie nicht vom Präsidenten ausdrücklich verlängert werden.

Bei beiden Verfahrensarten werden zur weiteren Behandlung der Rechtssache vom Präsidenten bzw. vom Ersten Generalanwalt ein Berichterstatter und ein Generalanwalt bestimmt.

Vorbereitende Maßnahmen und Sitzungsbericht

In allen Verfahren werden die Beteiligten nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens aufgefordert, binnen eines Monats mitzuteilen, ob sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragen. Der Gerichthof entscheidet auf Bericht des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts, ob die Rechtssache eine Beweisaufnahme erfordert, welchem Spruchkörper die Rechtssache zugewiesen wird und ob eine mündliche Verhandlung stattfindet, deren Termin der Präsident bestimmt. Der Berichterstatter fasst in einem Sitzungsbericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Parteien und gegebenenfalls der Streithelfer zusammen. Dieser Bericht wird der Öffentlichkeit im Rahmen der mündlichen Verhandlung in der Verfahrenssprache zugänglich gemacht.

Mündliche Verhandlung und Schlussanträge des Generalanwalts

In der mündlichen Verhandlung tragen die Parteien ihre Ausführungen dem Spruchkörper und dem Generalanwalt vor. Die Richter und der Generalanwalt können den Parteien die Fragen stellen, die sie für zweckdienlich erachten. Einige Wochen später, wiederum in öffentlicher Sitzung, trägt der Generalanwalt dem Gerichtshof seine Schlussanträge vor. Darin geht er insbesondere auf die rechtlichen Fragen des Rechtsstreits ein und schlägt dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit die Entscheidung vor, die seiner Meinung nach in dem Rechtsstreit ergehen sollte. Damit ist das mündliche Verfahren abgeschlossen. Wirft eine Rechtssache keine neuen Rechtsfragen auf, so kann der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts beschließen, ohne Schlussanträge zu entscheiden.

Urteile

Die Richter beraten auf der Grundlage eines vom Berichterstatter erstellten Urteilsentwurfs. Jeder Richter des Spruchkörpers kann Änderungen vorschlagen. Die Entscheidungen des Gerichtshofes werden mit Stimmenmehrheit gefasst; etwaige abweichende Meinungen werden nicht aufgeführt. Die Urteile werden von allen Richtern unterzeichnet, die an der Beratung teilgenommen haben, und ihr Tenor wird in öffentlicher Sitzung verkündet. Jeweils am Tag der Verkündung der Urteile und der Verlesung der Schlussanträge der Generalanwälte sind diese Dokumente auf der Internetseite des Gerichtshofes verfügbar. Sie werden in den meisten Fällen später in der Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz veröffentlicht.

Besondere Verfahren

  • Entscheidung durch mit Gründen versehenen Beschluss

Stimmt eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage überein, zu der der Gerichtshof sich bereits geäußert hat, oder lässt die Beantwortung der Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel oder kann sie aus der Rechtsprechung abgeleitet werden, so kann der Gerichtshof unter Verweis auf das zu dieser Frage bereits ergangene Urteil oder auf die betreffende Rechtsprechung nach Anhörung des Generalanwalts durch einen mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden.

  • Beschleunigtes Verfahren

Das beschleunigte Verfahren ermöglicht es dem Gerichtshof, in äußerst dringlichen Fällen eine schnelle Entscheidung zu treffen, indem Fristen verkürzt und bestimmte Verfahrensstufen ausgelassen werden. Es ist Sache des Präsidenten des Gerichtshofes, auf Antrag einer der Parteien und nach Anhörung der anderen Parteien zu entscheiden, ob eine besondere Dringlichkeit den Rückgriff auf das beschleunigte Verfahren rechtfertigt. Ein beschleunigtes Verfahren ist auch für Vorabentscheidungsersuchen vorgesehen. In diesem Fall stellt das vorlegende nationale Gericht den Antrag.

  • Einstweilige Anordnung

Gegenstand der einstweiligen Anordnung ist die Aussetzung des Vollzugs von Maßnahmen eines Organs, die außerdem Gegenstand einer Klage sein müssen, oder jede andere vorläufige Maßnahme, die erforderlich ist, um den Eintritt eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens zu verhindern.

Verfahrenskosten

Das Verfahren vor dem Gerichtshof ist kostenfrei. Dagegen werden die Kosten eines vor einem Gericht eines Mitgliedstaats zugelassenen Anwalts, durch den sich die Parteien vertreten lassen müssen, nicht vom Gerichtshof getragen. Ist jedoch eine Partei außerstande, die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise zu bestreiten, so kann sie selbst, ohne Vertretung durch einen Anwalt, Prozesskostenhilfe beantragen. Mit dem Antrag sind Unterlagen einzureichen, aus denen sich die Bedürftigkeit ergibt.

Sprachenregelung

In Klagesachen ist Verfahrenssprache, also die Sprache, in der das Verfahren in der Rechtssache geführt wird, die Sprache, in der die Klageschrift abgefasst ist (eine der 23 Amtssprachen der Europäischen Union). In Vorabentscheidungssachen ist Verfahrenssprache die Sprache des nationalen Gerichts, das den Gerichtshof anruft. In den Sitzungen werden die Verhandlungen je nach Bedarf in verschiedene Amtssprachen der Europäischen Union simultan übersetzt. Die Richter beraten, ohne Dolmetscher, in einer gemeinsamen Sprache, herkömmlicherweise in Französisch.

Keine Kommentare: